Niedersächsische Wahlgeschenke: Feuer frei auf Gänse

Im Januar 2008 ist in Niedersachsen Landtagswahl: Am 12. Dezember 2007 beschloss die Mehrheit aus CDU und FDP im niedersächsischen Landtag die Änderung der Jagdzeitenverordnung im Niedersächsischen Jagdgesetz auf Gänse, ein Wahlgeschenk an Bauern und Jäger.

Bis dahin galt die folgende Regelung: Grau- und Kanadagänse durften im August sowie vom 15.11.-15.1 bejagt werden, Höckerschwäne vom 15.11.-15.1..Für Bläss-, Saat- und Ringelgans gab es keine Jagdzeiten. Nonnen-, Kurzschnabel- und Zwerggans haben nach dem BJagdG keine Jagdzeit, Sing- und Zwergschwan sind nach dem BJagdG kein jagdbares Wild.

Nach der Änderung der Jagdzeitenverordnung dürfen nun die Landkreise als Untere Jagdbehörde die Jagdzeiten abweichend von den Vorgaben des Bundesjagdgesetzes ausweiten; neu aufgenommen wurden die Bläss-, Saat- und Ringelgans und die zugewanderte Nilgans.

In der Öffentlichkeit meldeten sich immer wieder Bauern zu Wort, die über reale oder vermeintliche Gänsefraßschäden lamentierten. Es wurden aber auch Jäger angezeigt oder vor Ort von der Polizei gestellt, wenn Schrot wieder mal die „falschen“ Gänse traf.

Brandgans (tadorna tadorna)

Röntgenbild: angeschossene Brandgans, Foto: Eilert Voß

So entstand der politische Druck, diese vermeintlichen „Schädlinge“ durch Abschuss zu vertreiben oder die nicht ganz einfache Unterscheidung der Gänse und die damit verbundenen Fehlabschüsse mit der negativen Presseberichterstattung straffrei zu umgehen.

angeschossene Nonnen- und Blässgänse, Foto: Eilert Voß

„Schicksalsgemeinschaft“ angeschossener Nonnen- und Blässgänse bei Emden. Deutlich sind die verletzten hängenden Flügel zu sehen, Foto: Eilert Voß

Das Vorhaben der Gesetzesänderung wurde bereits am 31. März 2007 vom niedersächsischen Landwirtschaftsminister Ehlen in einem Grußwort zum „Tag der Jäger“ in der Niederelbezeitung angekündigt:

[…] Unabhängig von der Diskussion um ein neues BJagdG wollen wir vorab einige kleinere Änderungen des Niedersächsischen Jagdgesetzes auf den Weg bringen.
Im Rahmen der Rechtsvereinheitlichung werden zwei Verordnungen aufgehoben:
Die WattenjagdVO wird zukünftig durch einen Erlass ersetzt […] Die Nilgans soll nach Landesrecht jagdbares Wild werden. Sie ist, wie die bereits 1678 in Großbritannien angesiedelte Kanadagans, eine Neozonenart. Im §26 NJagdG wollen wir dem ML die Ermächtigung einräumen lassen, auch abweichend vom Bundesrecht Jagdzeiten festzulegen.
Damit besteht die Möglichkeit – natürlich immer unter Beachtung der sonstigen rechtlichen Vorgaben beim Federwild z. B. aus der EU-Vogelschutzrichtlinie oder sonstigen Erfordernissen wie dem Tierschutz (Jungenaufzucht …) unabhängig vom Bundesrecht flexibel auf die Erfordernisse im Land reagieren zu können.
Änderungen Niedersächsische Jagdzeitenverordnung (NJagdzeit VO): Diese neuen Regelungen dienen teilweise sowohl der Verwaltungsvereinfachung als auch einer praktikablen Handhabung bei Wildschäden für den Jäger vor Ort. Ich möchte hier nicht alle Arten ansprechen, nur einige Ausgewählte:
[…] Grau- und Kanadagans: Über die bestehenden Jagdzeiten hinaus soll die Jagd im September und Oktober zur Schadensabwehr auf gefährdeten Acker- und Grünlandkulturen zugelassen werden. Bläss-, Saat- und Ringelgänsen, die aufgrund der geringen Anzahl bisland ganzjährig geschont sind, kann aus unserer Sicht eine Jagdzeit eingeräumt werden, wenn eine verlässlich ermittelte Zahlengrundlage dieses erlaubt.
[…]
Natürlich werden wir in diesem Zusammenhang auch der Nilgans, die dann künftig jagdbares Wild sein wird, eine Jagdzeit zuordnen.
Vorgesehen ist, die Jagdzeitenverordnung zeitlich so schnell wie möglich in Kraft treten zu lassen. Einige Änderungen sind allerdings erst nach den Änderungen des Landesjagdgesetzes möglich. […]“

Graugans, angeschossen und verendet, Foto: Eilert Voß

Dollart/Ems: Angeschossene und im Schilf verendete Graugans

Gegen diese Pläne protestierten Fachleute aus dem In- und Ausland, u.a. auch Prof. Bergmann von der renommierten Deutschen Ornithologen-Gesellschaft:

 

Deutsche Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) Projektgruppe „Gänseökologie“
Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann

An
Ministerpräsident Christian Wulff
Umweltminister Hans-Heinrich Sander
Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen

Bejagung von Wildgänsen

Bad Arolsen, den 11.5.2007
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wulff ,

wie wir der Presse (Niederelbezeitung 31.3.2007) entnehmen, besteht im Niedersächsischen Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Absicht, die Jagdzeiten für Grau- und Kanadagans auszuweiten und Jagdzeiten für andere Arten wie Blässgans, Saatgans oder Ringelgans einzuführen.
Die Projektgruppe Gänseökologie der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G), ein bundesweiter Zusammenschluß aus Gänseschützern und -wissenschaftlern weist diese Vorhaben entschieden zurück.
Die Blässgans ist zwar die häufigste der bei uns überwinternden arktischen Gänse, doch ist sie an Zahl etwa der Stockente weit unterlegen. In ihren Scharen verbergen sich die ähnlichen Zwerggänse, die vom Aussterben bedroht sind und für die derzeit aufwändige und viel beachtete Wiederansiedlungsprojekte laufen. Dieses Projekt zum Erhalt der durch EU Recht streng geschützten Art wird vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) sowie dem Niedersächsischen Umweltministerium unterstützt. Bei der Bejagung kann man die beiden Arten nicht voneinander unterscheiden. Die Saatgänse sind weniger häufig. In ihren Gruppen treten die häufigere Tundrasaatgans und die hochgradig gefährdete, seltene Waldsaatgans zusammen auf. Bei einer Bejagung werden beide betroffen. Sowohl die Bestände der Tundrasaatgans als auch die der Blässgans stagnieren seit mehr als zehn Jahren. Die Dunkelbäuchige Ringelgans, ein Brutvogel der sibirischen Eismeerküste, hat im vergangenen Jahrzehnt drastisch um mehr als ein Drittel ihres Bestandes abgenommen. Ohnehin machen die Bestände dieser Arten heute nur noch einen Bruchteil dessen aus, was vor den beiden Weltkriegen und der landwirtschaftlichen Intensivierung im letzten Jahrhundert einst in Norddeutschland vorkam.

Außer der Gefährdungssituation gibt es eine Reihe von weiteren wichtigen Argumenten gegen die Bejagung der Gänse, wie zum Beispiel die frühzeitige Zerstörung der Familien (Junggänse bleiben mindestens den ganzen ersten Winter im Familienverband), die Erhöhung der Fluchtdistanzen und damit die Konzentrierung auf ungestörten und damit umso mehr beweideten Flächen. Weitere Argumente sind in unserem kürzlich erschienenen Buch „Wilde Gänse“ zusammengestellt, das wir Ihnen zur freundlichen Kenntnisnahme beilegen.

Das Bundesland Niedersachsen spielt mit seinen Rastgebieten für die Gänsepopulationen eine wichtige Rolle. Ihm fällt daher eine besondere, durch internationale Konventionen unterstrichene Verantwortung für diese wandernden Vögel zu, die einen wichtigen Teil des niedersächsischen Naturerbes darstellen. Viele Menschen besuchen die Rastgebiete, um sich an diesem einzigartigen Naturphänomen zu erfreuen. Daraus ist regional ein regelrechter Gänsetourismus entstanden, der sich durch die Fördermittel von EU und Land Niedersachsen zu einem Wirtschaftsfaktor entwickelt.

Die Bejagung ist für solch eine Entwicklung kontraproduktiv, weil sie die Vögel scheu macht, so dass sie sich der Beobachtung entziehen.

Niedersachsen hat mit dem Vertragsnaturschutz ein ausgezeichnetes Mittel entwickelt, um die lokalen Konflikte mit der Landwirtschaft zu entschärfen, die durch die weidenden Gänse entstehen können. Das Nachbarland Belgien zeigt sogar, dass man gänzlich ohne Gänsejagd auskommen kann. Das Bundesland Niedersachsen sollte mit seinem wertvollen Naturerbe weiterhin so schonend umgehen wie bisher, die Instrumente des Vertragsnaturschutzes nutzen und den Gänsen ihren Lebensraum zubilligen, den sie seit jeher in Norddeutschland zur Verfügung hatten. Derzeit nimmt Niedersachsen neben Nordrhein-Westfalen eine Vorbildrolle unter den deutschen Bundesländern ein, die auch international Beachtung findet. Wir fordern Sie auf, dies nicht durch Maßnahmen gefährden zu lassen, die weder landwirtschaftliche Probleme lösen noch naturschutzfachlich gebilligt werden können.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann
– Sprecher der Projektgruppe Gänseökologie –

Anlage: Buch
Bergmann, Kruckenberg, Wille: Wilde Gänse – Wanderer zwischen Wildnis und Weideland. Braun Verlag, Karlsruhe

Zusätzlich wurde im Internet eine Petition gegen den erweiterten Gänseabschuss gestartet, mit mehr als 5.000 Unterzeichnern aus dem In- und Ausland.
Genützt hat das alles nichts. Gegen politische Faktenresistenz oder, mit Verlaub, Dummheit oder Ignoranz helfen keine Argumente oder Petitionen. Den Gipfel der politischen Inkompetenz leistete sich der „jagdpolitische Sprecher“ der FDP Jan-Christoph Oetjen in einer vom FDP-Fraktionsvorsitzenden Dr. Rösler verbreiteten Pressemitteilung, die gleich mit deutlich macht, wes „Geistes Kinder“ im Landtag Politik machen:

Hannover: 14.12.07
Oetjen (FDP): Neues Jagdgesetz bringt Interessen von Naturschutz, Landwirtschaft und Jagd in Einklang Hannover. In Niedersachsen können die Jagdbehörden bei den Landkreisen künftig im Einzelfall Schonzeiten aufheben. „Um Wildseuchen zu bekämpfen oder auch um andere Tierarten zu schützen, ist dies manchmal sinnvoll“, erläuterte der jagdpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Jan-Christoph Oetjen die Gesetzesnovelle. Die neue Regelung könne rechtzeitig zum Beginn der nächsten Jagdsaison im April 2008 in Kraft treten. Oetjen begrüßte, dass der Landtag in seiner letzten Sitzung der Legislaturperiode die entsprechende Änderung des Jagdgesetzes beschlossen habe. „Wir haben somit den Gestaltungsspielraum, den wir durch die Föderalismusreform bekommen haben, konsequent genutzt, um unser Jagdrecht flexibler nach den jeweiligen Notwendigkeiten ausrichten zu können“, sagte Oetjen weiter. Außerdem sei die Nilgans in den Katalog der jagdbaren Tiere aufgenommen worden. „Seit den 70er Jahren sind die Gänsezahlen auf das drei- bis vierfache angestiegen. Gerade die ursprünglich aus Afrika stammende Nilgans hat sich sehr schnell ausgebreitet. Die Jagd auf die Nilgans dient daher auf der einen Seite dem Natur- und Artenschutz, kann aber auch helfen, die teilweise gravierenden Schäden, die die Vögel in der Landwirtschaft anrichten, einzudämmen“, so der FDP-Politiker. Die Befürchtung, die Nilgans werde durch die Bejagung in ihrem Bestand gefährdet, sei unbegründet. „Mit dem neuen Niedersächsischen Jagdgesetz ist es gelungen, die Interessen von Naturschutz, Landwirtschaft und Jagd in Einklang zu bringen“, sagte Jan-Christoph Oetjen.

Der ostfriesischen Regionalpresse, also in der Region, wo die meisten Gänse geschossen werden, war dieser politische Skandal nur ein paar magere Zeilen wert. Von der Internet-Petition und den fachlichen Einwänden erfuhr die Leserschaft nichts!

Anzeiger für Harlingerland, Wittmund (und andere), 13.Dez.2007, S. 29

Jagd auf Nilgänse
HANNOVER – In Niedersachsen dürfen von 2008 an Nilgänse gejagt werden. Der Landtag votierte mit den Stimmen der CDU/FDP-Koalition für eine entsprechende Änderung der Jagdvorschriften. Die ursprünglich in Afrika beheimatete Nilgans gefährde die heimische Vogelwelt, sagte Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU).

Nachsatz: Die Landesjägerschaft in Niedersachsen ist ein „anerkannter“ Naturschutzverband, einer von 14 im Lande.

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Eine Antwort zu Niedersächsische Wahlgeschenke: Feuer frei auf Gänse

  1. Uiuiui.. starker Tobak, was der Landwirtschaftsminister Ehlen da in seinem Grußwort absondert. Allerdings habe ich den begründeten Verdacht, sein Grußwort könnte er zusammengeklaut haben. Ich fasse das Zitat einfach mal zusammen, vielleicht wird dann deutlich wer da die Vorlage geliefert haben könnte:

    [..“Im Rahmen der Rechtsvereinheitlichung werden zwei Verordnungen aufgehoben [..] wollen wir [..] die Ermächtigung einräumen lassen [..] Damit [..] flexibel auf die Erfordernisse im Land reagieren zu können. [..] Diese neuen Regelungen dienen teilweise sowohl der Verwaltungsvereinfachung als auch einer praktikablen Handhabung [..] Ich möchte hier nicht alle Arten ansprechen, nur einige Ausgewählte“..]

    Hmm.. „vereinheitlichen“, „aufheben“, „ermächtigen lassen“ um sich dann auf Grund unterstellter „Erfordernisse im Land“ einiger „Ausgewählter“ mittels lethaler Methoden zu entledigen. Das kommt mir irgendwie bekannt vor.

    Viele Grüße,
    Werner Hupperich

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